Das besondere Spiel der Saison 2020/2021

Ein Appetizer auf die in Kürze startende neue Saison erwünscht?
Machen wir!
Mit einem Rückblick auf das Highlight-Spiel der HSG Wettenberg in der letzten Saison!

Es war fast auf den Tag genau vor einem Jahr, als sich ein einsamer Fan des gepflegten Wettenberger Handballspiels auf den Weg in eine ferne Halle machte, um endlich dem so ersehnten Saisonanpfiff entgegenzufiebern. Doch, dass es aus vielerlei Gründen das Match der Saison werden würde, konnte er da noch nicht ahnen.

Die Motive waren neben dem unbeschreiblichen Feeling den ersten Anwurf live zu erleben, natürlich auch die Begutachtung der Hygienekonzept-Umsetzung des gegnerischen Vereins und wie es sich für Fans der Bezirksklasse C eben gehört genetisches Beziehungsgeflecht. Der Weg zur MSG Kirchhain / Neustadt sollte da kein Hindernis sein – nach Kirchhain ist man doch schnell hingefahren – war wenigstens der Gedanke bis zur Eingabe ins Navi: Das Spiel wurde doch tatsächlich in Neustadt ausgetragen. Landschaftlich reizvolle 65km und nachdenklich machende 50 min später waren die Überlegungen so weit gediehen, vielleicht doch nicht zu allen Auswärtsspielen der HSG III unbedingt fahren zu müssen.

Doch gleich beim ersten Bier der Saison -Aufwärmen war angesagt- waren die Gedanken beiseitegeschoben. Das Hygienekonzept wurde deutlich schlichter umgesetzt, als man sich 365 Tage später vorstellen vermag. Impfnachweis musste man auch nicht zeigen – es gab ja noch keine Impfung! Und eine App zur Registrierung war ebenso noch nicht erfunden. Dafür gab es in der Halle genügend Platz und man hatte den Eindruck die Fenster wären nach vielen Jahren auch wieder einmal gängig gemacht worden.

Doch nun war es so weit: Samstagabend 18:00 Uhr, Anpfiff erfolgt und nach 36s das erste HSG-Saisontor zur Führung durch Nick Stroh. Läuft! Nach 10 Minuten beim 8:8 schon 16 Tore – dass es ein sehr kurzweiliger Abend werden könnte, war noch nicht ganz klar. Man merkte an den nachdenklichen Gesichtern und dem beherzten und zunehmend lauteren Rufen der Auswechselbank nach einem Gegentor, dass die Spieler doch intensiv überlegten, was es neben dem Angriff noch für eine andere Spielsituation geben könnte. Bei 7 HSG-Spielern im zarten Handballalter zwischen 40 und 60 war man sich wenigstens auf Zuschauerseite sicher, dass es im weiteren Verlauf nicht nur Hurra-Handball geben würde, sondern dass es auch schnell zu gepflegtem Stellungsspiel kommen dürfte. (Auch wenn man einen Arzt mit kardiologischem Hintergrundwissen in der Mannschaft hat, sollte man sein Glück und vor allem seine Gesundheit nicht herausfordern.)

Die daher als Verschnaufpause und aus Alterstaktik zu erwartende und bewährte Auszeit nach 20min wurde tatsächlich bereits nach 11min für ein Taktikgespräch vergeudet. Man lag urplötzlich mit 2 hinten und der geneigte Zuschauer merkte, dass es heute nicht als Freundschaftsspiel enden würde. Es ging um etwas! Dass 5 blutjunge HSG-Spieler unter 21 Jahren den Altersschnitt und das Kreislaufrisiko dabei etwas zu senken vermochten, war nach 15 Minuten und einem leistungsgerechten 12:12 noch nicht zu erkennen, da die Altvorderen bis dahin bereits 8-mal eingenetzt hatten. Das auch die Gegner an dem Abend Biss hatten, wurde durch deren prompte Auszeit und dem akustischen Intermezzo des Trainers deutlich. Der mathematisch bewanderte Zuschauer hatte so jedoch Zeit, um durch lineare Hochrechnung ein mögliches Endresultat von 48:48 vorauszuberechnen. Zwei Unbekannte in der Rechnung waren jedoch die spielerische Fitness nach langer Wettkampfpause und deren Auswirkung im weiteren Spielverlauf, sowie die rein theoretische Überlegung, ob die Spieler die zweite Komponente neben dem Angriffsspiel noch finden, aus ihrem Gedächtnis hervorzaubern und auf die Platte bekommen würden.

Doch die zweite Hälfte der ersten Halbzeit gehörte nun ganz der HSG! Im Nachhinein muss der Parforceritt der ersten 15min und die totale Umstellung der folgenden 15 min als taktisches Glanzstück bezeichnet werden, denn nun konnte man sich voll auf die Jugend verlassen und manch erfahrener Spieler brauchte des Öfteren den eigenen 9m-Raum kräfteschonend nicht zu verlassen. Von den 15 eigenen Treffern in diesen 15 Minuten wurden 12 durch die „jungen Burschen“ und davon 10 durch Tempogegenstöße erzielt. Gründe dafür waren u.a., dass unser Torhüter nach 18 Minuten Spielzeit nun auch den ersten Ballkontakt vor der Torlinie hatte und ein neuer Spieler, der zum ersten Mal für die HSG auflief und an diesem Abend zum allerersten Mal auf den Großteil der anderen Spieler traf, sein Gegenstoß Potential mit 6 Toren andeutete: Amar Novalic!
Pausenstand 20:27 (!) für uns – der wissende Zuschauer der erfahrensten Handballtruppe der HSG schüttelte ungläubig den Kopf, da aus den vergangenen Spielzeiten häufig zu Spielende nicht so viele Tore zu verzeichnen waren. Respekt vor und Spaß an sagenhaften 47 Toren zur Halbzeit, welche mit einem Bierchen und vielen Hochrechnungen für die zweite Hälfte schnell vorüber war.

Dass man nach einer Pause nicht immer gleich wieder auf Betriebstemperatur kommt und im fortgeschrittenen Alter dabei auch schwerfällig werden kann, weiß jeder der schon einmal lange Wandertouren absolviert und sich dann nach einer Pause ans Weitergehen gemacht hat. Ungefähr so wirkte das HSG-Spiel auf den einsamen HSG-Fan auf der Tribüne in Neustadt kurz nach der Pause. Vorne kein Tempo und keine Präzision, hinten zu spät und ohne Feingefühl. Kurzum es wurde ruppiger, der Schiri musste nun auch andere Dinge als Tor pfeifen und die Spieler beider Seiten untermauerten ihren unbedingten Willen auf Sieg zu spielen durch lautstarke Kommentare jeglicher – natürlich vermeintlich unsportlicher – Aktionen von Gegner und Unparteiischem. Dass die Zuschauer in der nun aufkommenden Atmosphäre den Schiri unbedingt auch an ihrem Handballwissen teilhaben lassen wollten, ist dem erfahrenen Handballfreund selbstredend klar. Ein klassisches Handballspiel in der Bezirksliga C Gießen Nord eben.

Nach einem solchen 0:4-Lauf hätte man bei einer etwas unerfahrenen Truppe durchaus Angst um den Sieg bekommen können – nicht jedoch an diesem Abend und bei der geballten handballtaktischen Kompetenz der HSG-Veteranen auf dem Spielfeld. Neben der stoischen Ruhe eines „Doc“, dem Ganzkörpereinsatz eines „Jo“, dem Bumms von „Abi“ und der Finesse von „Mo“ – und auch bei Wechseln weitere Jahrzehnte Spielerfahrung. Eine „erzwungene“ Zeitstrafe für den Gegner mit eigenem 7m hier, ein intensives Wortgefecht mit dem Gegner da – natürlich, ohne einen Millimeter Boden her zu geben. Dazu einen bewusst falsch interpretierten Pfiff, um den Spielfluss zu hemmen oder ein überhartes Einsteigen gegen den Kanonier des Gegners, um den mal „rauszunehmen“. Getreu dem Motto: „Schließlich war das Foul von Euch gerade eben an unserem besten Spieler ja viel schlimmer und da gab es gar nichts…“. Nicht nur der Gegner kochte, sondern auch die Tribüne. Der einsame Zuschauer fühlte sich noch einsamer, war sich jedoch insgeheim schon sicher, dass die 4€ Eintritt an diesem Abend gut investiert waren.
Trotzdem es rein ergebnistechnisch nie enger wurde, war es spannend und endlich wieder so schön emotional – und sportlich mit einem weiteren Highlight ausgestattet: In traumhafter Konsequenz machten die jungen Spieler ihr Ding und trafen was das Zeug hielt. Ein Endergebnis von 40:47 (!) für uns – nicht mal in den kühnsten Vorstellungen war ein Spiel mit 87 Toren vorherzusehen. Obwohl der mathematisch angehauchte Zuschauer bereits nach 15 Minuten Spielzeit mit seiner Hochrechnung gar nicht so verkehrt lag. Rechnerisch gab es alle 41 Sekunden ein Tor und beim obligatorischen Bierchen nach Spielende fiel den Spielern auch wieder die zweite Komponente neben dem Angriff ein: Abwehr! Aber gut, es hat auch so oder gerade deswegen für einen unvergesslichen Sieg gereicht.  Amar Novalic warf dabei in seinem ersten Spiel überhaupt für die HSG 11 Tore und Nick Stroh wurde aufgrund des weiteren Saisonverlaufes mit seinen 12 Feldtoren an diesem Abend sogar Torschützenkönig der gesamten HSG in dieser -leider oder hoffentlich- so einmaligen Saison!

Was ich nun nach 365 Tagen ohne Handball denke? Ich freue mich einfach nur auf die neue Saison und wünsche mir, dass es endlich los geht und man das andere Zeugs bald vergessen kann – Handball ist einfach nur geil.

 

Erinnerungen von Matthias Stroh

HSG Wettenberg Handball
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